Stressreaktionen Verstehen

Stressreaktionen verstehen – 4 Muster deines Nervensystems und wie sie deinen Alltag prägen

03. Oktober 2025

Du kannst vieles verbergen – nur nicht, wie reguliert dein Nervensystem ist. Stress zeigt sich nicht nur in Kopfschmerzen oder Schlafproblemen. Er zeigt sich ganz klar in deinen Reaktionen. Ob du laut wirst, dich zurückziehst, innerlich erstarrst oder dich zu sehr anpasst – all das sind Schutzstrategien deines autonomen Nervensystems.

Denn dein Nervensystem hat eine Hauptaufgabe: Sicherheit.

Welche Reaktion für dich „sicher“ wirkt, hängt stark davon ab, wie du geprägt wurdest – vor allem in deiner Kindheit. Was damals Schutz war, zeigt sich heute in deinem Alltag oft automatisch.

Die vier klassischen Stressreaktionen:

  • Fight (Kämpfen)
  • Flight (Fliehen)
  • Freeze (Erstarren)
  • Fawn (Anpassen)

1. Fight – Kämpfen

Ein kleiner Auslöser und du bist im Fight-Modus. Du wirst lauter, ungeduldiger, schärfer in deinen Worten. Das fühlt sich an wie eine Überreaktion. In Wahrheit ist es dein Nervensystem, das dich schützen will.

Typische Anzeichen:

  • Gereiztheit, Wutausbrüche
  • Harte Worte oder lauter Ton
  • Kontrolle und Perfektionismus

Alltagsbeispiel:
Ein Kunde beschwert sich und du merkst, wie deine Stimme ebenfalls lauter wird.

Was hilft?

  • Erkennen: „Mein Nervensystem kämpft gerade.“
  • Kurz innehalten und tief atmen
  • Dich bewusst im Raum umschauen – das signalisiert Sicherheit

2. Flight – Flüchten

Flight ist mehr als innere Unruhe. Es ist das Muster, immer in Bewegung zu bleiben, um nicht fühlen zu müssen, was unangenehm ist.

Typische Anzeichen:

  • Exzessives Arbeiten & Perfektionismus
  • Digitale Ablenkung (Handy, Serien, Social Media)
  • Konflikten und Gesprächen ausweichen
  • Schwierigkeiten, zur Ruhe zu kommen

Alltagsbeispiel:
Das unangenehme Gespräch mit deinem Team steht an – du öffnest lieber die nächste Excel-Liste.

Was hilft?

  • Erkennen, wenn du flüchtest
  • Kleine Pausen bewusst zulassen
  • Ruhe Schritt für Schritt üben – ohne schlechtes Gewissen

3. Freeze – Erstarren

Kennst du das Gefühl, mitten im Meeting blockiert zu sein? Kopf leer, Energie weg, innere Leere. Das ist Freeze.

Typische Anzeichen:

  • Körperliche Starre, wie gelähmt
  • Emotionale Taubheit, „Blackout“
  • Erschöpfung und Rückzug
  • Distanz, nicht wirklich präsent

Alltagsbeispiel:
Du wirst spontan etwas gefragt und obwohl du die Antwort kennst, bleibt dein Kopf leer.

Was hilft?

  • Wahrnehmen: „Mein System friert ein.“
  • Atem spüren, kleine Bewegungen machen
  • Kontakt suchen – Verbindung signalisiert Sicherheit

4. Fawn – Anpassen

Die vierte Reaktion ist weniger bekannt, aber sehr häufig: Fawn – der Anpassungsmodus.
Während Fight und Flight eher akute Reaktionen sind, zeigen sich Freeze und Fawn besonders bei chronischem, überwältigendem Stress.

Typische Anzeichen:

  • Immer „Ja“ sagen, auch wenn du „Nein“ meinst
  • Eigene Wünsche zurückstellen
  • Konflikte vermeiden
  • Starkes Bedürfnis nach Bestätigung
  • Orientierung an den Bedürfnissen anderer

Alltagsbeispiel:
Du übernimmst ein zusätzliches Projekt, obwohl du längst am Limit bist – aus Angst, sonst nicht mehr gemocht zu werden.

Was hilft?

  • Eigene Bedürfnisse wahrnehmen
  • „Nein“ in kleinen Schritten üben
  • Sich selbst Bestätigung geben – nicht nur von außen

Fazit: Dein Nervensystem spricht immer mit

Fight, Flight, Freeze und Fawn sind keine Schwäche, sondern intelligente Schutzmechanismen.
Doch wenn sie dauerhaft aktiv sind, belasten sie Körper, Psyche und Beziehungen.

  • Dauerstress, weil du immer kämpfst.
  • Erschöpfung, weil du ständig flüchtest.
  • Lähmung, weil du dich nicht entscheiden kannst.
  • Selbstverlust, weil du immer Ja sagst.

Der erste Schritt ist immer das Erkennen.

So kannst du lernen, dein Nervensystem zu regulieren und wieder bewusst zu handeln – statt nur automatisch zu reagieren.

Weiterführende Literatur & Quellen

Für alle, die tiefer einsteigen möchten– hier ein paar fundierte Grundlagen, auf die ich mich beziehe:

  • Stephen W. Porges (2011): The Polyvagal Theory: Neurophysiological Foundations of Emotions, Attachment, Communication, and Self-Regulation. W. W. Norton & Company.
  • Stephen W. Porges (2018): The Polyvagal Theory in Therapy: Engaging the Rhythm of Regulation. Norton Series on Interpersonal Neurobiology.
  • Polyvagal Institute: Was ist die Polyvagal-Theorie?
  • Pete Walker (2013): Complex PTSD: From Surviving to Thriving. Azure Coyote.
  • Pete Walker: The 4Fs: A Trauma Typology in Complex PTSD
  • Psychology Today: What Is the Fawning Trauma Response?

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